Gilead Sciences: Wirkstoff in Lenacapavir schützt als Impfung vor Infektion mit HIV

Die aktuelle Ausgabe des New England Journal of Medicine präsentiert die Ergebnisse der zulassungsrelevanten Phase-3-Studie „Purpose 2“: Bei halbjährlicher Impfung bietet das Medikament Lenacapavir von Gilead Sciences einen effektiven Schutz vor einer HIV-Infektion. Beim Universitätsklinikum Heidelberg lobt man Lenacapavir als echten Durchbruch.

Impfung komfortabler als Tabletten

Wird Lenacapavir als Depotspritze eingesetzt, bietet es anhaltenden Schutz vor einer HIV-Infektion. Alle sechs Monate muss dieser Schutz aufgefrischt werden. Im Vergleich zu bisher verwendeten Mitteln zur HIV-Präexpositionsprophylaxe (PrEP) wie Truvada, die täglich als Tablette eingenommen werden müssen, stellt dies einen entscheidenden Vorteil dar. Eine Impfung, die zweimal im Jahr erfolgt, ist im Alltag wesentlich komfortabler als die tägliche Einnahme einer Tablette.

Die tägliche Einnahme von Tabletten birgt zudem einen anderen, problematischen Aspekt. Wer täglich Tabletten einnimmt, wird vom Umfeld schnell als HIV-positiv abgestempelt. Insbesondere in Ländern, in denen HIV weit verbreitet ist, stellt das ein häufiges Problem dar. Eine Spritze hingegen, die man zweimal im Jahr bekommt, lässt sich wesentlich einfacher geheim halten. Somit steht außer Frage, dass Lenacapavir für viele Menschen, die sich vor einer HIV-Ansteckung schützen möchten, eine enorme Erleichterung darstellt.

Vielversprechende Studienergebnisse

Der Hersteller Gilead Sciences teilte mit, dass die  „Purpose 2“-Studie ebenso wie ihre Vorgängerin „Purpose 1“ aufgrund der vielversprechenden Ergebnisse vorzeitig beendet wurde, um das Medikament allen Probanden und Probandinnen zur Verfügung stellen zu können. Im nächsten Schritt will der Impfstoffhersteller nun die Zulassung von Lenacapavir als HIV-Schutz in zahlreichen Ländern beantragen. Ein Fokus liegt auch auf der Versorgung von ärmeren Ländern.

Lenacapavir ist als prophylaktische Impfung für Menschen mit hohem HIV-Infektionsrisiko gedacht. Es hemmt den Lebenszyklus des Virus gleich in mehreren Stadien der Infektion. Lenacapavir ist in puncto Effizienz wohl mit Truvada vergleichbar. Beide Medikamente bieten einen hervorragenden, nahezu kompletten Schutz.

Bei der Auswertung der Ergebnisse der beiden „Purpose“-Studien zeigt sich, dass es in den mit Tabletten versorgten Kontrollgruppen anteilig einige Infektionen mehr zu geben scheint. Der Leiter der Forschungsgruppe „Mathematics for Data Science“ erläuterte, dass diese Daten jedoch täuschen. Tatsächlich ist es nämlich so, dass man festgestellt hat, dass einige Studienteilnehmer in der Kontrollgruppe die Tabletten nicht regelmäßig eingenommen haben, sie teilweise gegen Ende des Untersuchungszeitraums komplett weggelassen haben. Dass es dann zu Infektionen kommt, überrascht die Forschungsgruppe nicht.

Nächster Schritt: Zulassung

In der EU ist Lenacapavir ist bereits zur virushemmenden Behandlung bestimmter, bereits infizierter Patientinnen und Patienten zugelassen. In Deutschland ist das Medikament dafür bisher nicht auf dem Markt. Noch ist unklar, ob das Medikament als vorbeugendes Mittel hierzulande erhältlich sein wird. Als HIV-Prophylaxe ist es allerdings vor allem in ärmeren Ländern, beispielsweise in Afrika südlich der Sahara, und da speziell für Frauen von immenser Bedeutung.

Ein großes Problem liegt allerdings in den hohen Kosten. In den USA kostet Lenacapavir zur Behandlung einer bestehenden Infektion rund 42.000 US-Dollar pro Jahr. Für Menschen in ärmeren Ländern ist eine solche Summe schlichtweg unbezahlbar. Fachleute betonen deshalb, dass der Zugang für die Menschen, die das Mittel dringend benötigen, erschwinglich sein muss und deshalb einen zentralen Aspekt im Kampf gegen die Ausbreitung von HIV darstellt.

Risiko von Resistenzen

Lenacapavir kann allerdings nicht pauschal als das perfekte Medikament für alle eingestuft werden. Wann der Einsatz sinnvoll ist und wann nicht, ist von verschiedenen Faktoren abhängig ist und muss jeweils sorgfältig abgewogen werden sollte. Speziell bei Lenacapavir besteht, wie auch bei vielen anderen solchen Wirkstoffen, das Risiko der Bildung von Resistenzen. Der Wirkstoff ist im Körper noch etwa ein Jahr lang nach einem Stopp der Impfungen nachweisbar. Dies kann dazu führen, dass ein Erreger resistent wird, weil die Dosis des Wirkstoffs nicht ausreicht, um ihn zu beseitigen, ihn aber unter Selektionsdruck setzt.

Experten vermuten deshalb, dass es höchst sinnvoll sein dürfte, nach dem Absetzen von Lenacapavir noch ein Jahr lang Truvada einzunehmen, um die Bildung von Resistenzen bei einer Ansteckung in diesem Zeitraum zu verhindern. Truvada birgt im Gegensatz zu Lenacapavir diesbezüglich kaum Risiken. Es verschwindet innerhalb einer Woche aus dem Körper, wenn die Einnahme beendet wird.

Hohe Effizienz im Rahmen der Phase-III-Studien

„Purpose 2“ umfasste knapp 3.300 HIV-negative Personen mit häufigem Geschlechtsverkehr. In der Lenacapavir-Gruppe mit ca. 2.200 Probanden infizierten sich zwei Personen und in der zum Vergleich mit Truvada behandelten Gruppe mit ca. 1.100 Probanden waren es neun Personen, berichtet das Fachjournal. Somit konnte das Infektionsrisiko durch Lenacapavir um 96 Prozent gegenüber der Hintergrundinzidenz reduziert werden. Hinsichtlich der Verträglichkeit gab es bei beiden Mittel keine Probleme.

Im Juli  waren auf der Welt-Aids-Konferenz in München die vielversprechenden Ergebnisse der Phase-III-Studie „Purpose 1“ vorgestellt worden. An der Studie hatten rund 5.300 HIV-negative Mädchen und junge Frauen in Südafrika und Uganda teilgenommen. Rund 2.100 Teilnehmerinnen bekamen zwei Mal im Jahr eine Injektion mit Lenacapavir. Bei ihnen kam es zu keiner Infektion. Die Kontrollgruppen mit rund 3.200 Teilnehmerinnen, die andere Medikamente zur Prävention eingenommen hatten, wiesen am Ende 55 HIV-Infektionen auf.

Vollständige Heilung immer noch nicht möglich

Das HI-Virus ist für das Krankheitsbild AIDS verantwortlich. Es schwächt das Immunsystem und macht den Körper dadurch anfällig für andere Erkrankungen. Wird die Infektion früh genug erkannt und behandelt, ist mittlerweile eine normale Lebenserwartung gewährleistet. Die Infektion kann allerdings in den meisten Fällen gänzlich beseitigt werden. Eine lebenslange Einnahme virushemmender Medikamente ist deshalb erforderlich.

Die UN stellte am Dienstag einen Bericht vor, aus dem hervorgeht, dass in 28 Ländern ein Anstieg der HIV-Ansteckungen zu verzeichnen ist. Das UN-Programm UNAIDS teilte mit, dass weltweit 39,9 Millionen Menschen mit dem Virus leben. Ein großer Teil der Infizierten ist in Afrika, südlich der Sahara, ansässig. Im Jahr 2023 starben 630.000 Menschen im Zusammenhang mit Aids und 1,3 Millionen Menschen infizierten sich neu mit dem HI-Virus.

Die Gilead-Aktie konnte sich in den vergangenen sieben Tagen um etwa 6 Prozent steigern und wird aktuell bei 92,41 US-Dollar gehandelt.

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