Wie die betriebliche Altersvorsorge zum Gamechanger beim Thema Personal wird

Kaum ein Finanzprodukt hat einen so schlechten Ruf wie die betriebliche Altersvorsorge (bAV). Laut Kevin Döllinger, Experte für betriebliche Vorsorge-Konzepte, ist die bAV in den meisten Fällen allerdings nur schlecht aufgesetzt und nur die wenigsten Arbeitgeber wissen um das wirkliche Potential. In unserem Interview erklärt uns der Geschäftsführer der Infinno Finanzmanagement GmbH, was er damit genau meint und wie Arbeitgeber die bAV nutzen können, um ihren Arbeitnehmern eine attraktive Zusatzrente im Alter zu bieten.

Redaktion: Herr Döllinger, laut Statista gibt es in Deutschland rund 21 Millionen aktive bAV-Anwartschaften, also Versorgungsvereinbarungen, für die im jeweiligen Jahr Beiträge entrichtet, bzw. Ansprüche erworben wurden. Obwohl die Akzeptanz augenscheinlich da zu sein scheint, gilt die betriebliche Altersvorsorge bei vielen Menschen aber als nicht rentabel und wird oft kritisiert. Zurecht?

Kevin Döllinger:  Ja und nein. Die Idee hinter der betrieblichen Altersvorsorge ist ja, dass Arbeitnehmer Geld, dass sie in eine zusätzliche Altersvorsorge investieren möchten, nicht vom Nettolohn, also von bereits versteuertem Einkommen, sondern vom Bruttolohn nehmen können. Durch das System der Entgeltumwandlung und den 15% Zuschuss, den Arbeitgeber laut dem Betriebsrentenstärkungsgesetzt (BRSG) auf den Umwandlungsbetrag zahlen müssen, können Arbeitnehmer deutlich mehr ansparen, ohne dass ihnen am Ende weniger Geld zum Leben übrig bleibt.

Redaktion: Ok, können Sie uns das Ganze mal anhand eines Rechenbeispiels erklären?

Kevin Döllinger: Sehr gerne. Nehmen wir den berühmten Max Mustermann als Beispiel. Max ist nicht verheiratet, hat keine Kinder und verdient 3.000, -€ brutto. Nutzt er die betriebliche Altersvorsorge und lässt seinen Arbeitgeber von seinem Bruttolohn 100,-€ investieren, erhält er die gesetzlich vorgeschriebenen 15%, also 15,-€ von seinem Arbeitgeber on Top, was in Summe also 115,-€ Ansparsumme bedeutet. Von seinen 3.000, -€ brutto bleiben ihm dann 1.984,50€ zum Leben übrig. Würde er die betriebliche Altersvorsorge nicht nutzen, könnte er nur 55,20€ privat anlegen, wenn ihm von seinen 3.000, -€ brutto ebenfalls 1.984,50€ übrig bleiben sollen.

Redaktion: Das hört sich doch super an. Wo liegt jetzt das Problem?

Kevin Döllinger: Das Problem, um es mal hart auf den Punkt zu bringen, ist, dass es sich die meisten Arbeitgeber einfach machen und die bAV über eine Direktversicherung abschließen und die lohnt sich einfach nicht.

Redaktion: Ok, können Sie uns das bitte näher erklären?

Kevin Döllinger: Sehr gerne. Also grundsätzlich muss man wissen, dass die Zahlungen in die bAV natürlich das zu versteuernde Einkommen senken, wodurch man nicht nur weniger Steuern, sondern auch weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlt. Dadurch reduzieren sich logischerweise die Rentenpunkte, wodurch man dann schlussendlich einen etwas niedrigeren Betrag aus der gesetzlichen Rente erhält.

Darüber hinaus sind die Ansprüche aus der bAV voll steuerpflichtig und werden bei Rentenbezug auch vom Finanzamt besteuert. Neben den Steuern fallen zusätzlich noch Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge an, wobei der Arbeitnehmer dann nicht nur seinen, sondern auch den Arbeitgeberanteil bezahlt.

Darüber hinaus werden die Ansprüche aus der bAV auf die gesetzliche Rente aufgerechnet und kommt man in Summe über die gesetzliche Freigrenze, werden für beide Steuern und Sozialabgaben fällig. Bei privater Vorsorge mit bereits versteuertem Einkommen ist das natürlich nicht so.

Redaktion: Verstehe, aber dafür kann man ja mehr als das Doppelte bei der bAV ansparen, also sollte sich das doch trotzdem noch lohnen, oder nicht?

Kevin Döllinger: Sollte es und kann es auch, aber nicht, wenn man die bAV über eine Direktversicherung abschließt. Denn hier gibt es im Wesentlichen 2 Probleme. Zum einen investieren Direktversicherungen aufgrund der Beitragsgarantien recht risikoscheu, wodurch in der Regel Kapitalanlagen mit niedriger Rendite gewählt werden, die dann auch noch oft mit relativ hohen Kosten belastet sind. Das viel größere Problem sind aber die unattraktiven Auszahlungsmöglichkeiten. Denn hier können die Arbeitnehmer nur zwischen einer Einmalauszahlung und einer monatlichen Rente wählen und beide Varianten lohnen sich bei der Direktversicherung im Vergleich zu einer privaten Altersvorsorge mit bereits versteuertem Einkommen faktisch nicht.

Redaktion: Könnten Sie hier bitte etwas mehr ins Detail gehen?

Kevin Döllinger: Natürlich. Nehmen wir an, die Ansprüche aus der bAV würden zu Rentenbeginn bei 100.000, -€ liegen. Wie bereits erwähnt, muss man auf die Ansprüche aus der bAV Steuern und Sozialabgaben leisten. Bei einer Einmalauszahlung läge man mit den 100.000, -€ zzgl. der gesetzlichen Rente natürlich weit jenseits der Grenze von 66.762, -€ und müsste folglich satte 42% Steuern und entsprechend hohe Sozialabgaben leisten.

Redaktion: Gut, das macht keinen Sinn. Aber was ist jetzt an der lebenslangen monatlichen Rente falsch?

Kevin Döllinger: Das Problem ist, dass die Direktversicherungen hier mit sehr niedrigen Rentenfaktoren rechnen. Der Marktführer bei den Direktversicherungen rechnet meist mit einem garantierten Rentenfaktoren unter 20. Das bedeutet bei 100.000, -€ eine monatliche Zusatz-Rente von gerade einmal 200. Abgesehen davon, dass der Betrag recht niedrig ist, bedeutet das aber vor allem, dass es 500 Monate braucht, bis die 100.000, -€ ausbezahlt sind. Wenn man also mit 67 Jahren in Rente geht, müsste man 108 Jahre und 8 Monate alt werden und hier ist noch komplett außer Acht gelassen, dass das Kapital ja noch arbeitet. Bei einer Verzinsung von nur 2 % müsste man 154 Jahre und 10 Monate alt werden.

Redaktion: 154 Jahre? Das ist ein Scherz, oder?

Kevin Döllinger: Leider nicht, das kann jeder mit einem Entnahmeplan-Rechner im Internet nachrechnen.

Redaktion: Ok, also die bAV über einen Direktversicherer abzuwickeln lohnt sich nicht, Punkt. Aber was ist die Alternative?

Kevin Döllinger: Die mit Abstand attraktivste Alternative ist ein eigenes Versorgungswerk, bei dem der Arbeitgeber selbst die Rahmenbedingungen vorgibt, was erhebliche Vorteile für Arbeitnehmer und auch den Arbeitgeber bedeutet.

Redaktion: Können Sie hier bitte etwas konkreter werden?

Kevin Döllinger: Sehr gerne. Bei meinem eigenen Versorgungswerk kann ich zum Beispiel den Rentenfaktor so ansetzen, dass sich die monatliche Zusatzrente deutlich erhöht, indem ich einfach ein realistisches Alter für die Lebenserwartung ansetze. Wir betreuen Mandanten, bei denen die monatliche Zusatzrente aus der bAV allein durch diese Maßnahme um bis zu 75% höher ist – nicht nur für die Mitarbeiter, sondern natürlich auch für die Geschäftsführer selbst.

Ein weiterer Vorteil ist, dass man nicht nur die Einmalzahlung als Alternative hat, sondern sich die angesparte Summe auch über 10 Jahre verteilt auszahlen lassen kann. Dadurch ist das jährliche Einkommen, bzw. die Kombi aus gesetzlicher Rente und Ansprüchen aus der bAV natürlich deutlich niedriger, wodurch unnötig hohe Steuerlasten und Sozialabgaben vermieden werden.

Der dritte Vorteil, der nicht außer Acht gelassen werden sollte, ist, dass der Arbeitgeber bestimmen kann, wie investiert wird. Zum Beispiel in ETFs. ETFs sind äußerst interessant, weil sie nicht nur mehr Rendite erwirtschaften, sondern auch kostengünstiger wie aktiv gemanagte Fonds sind.  Vor allem bei langen Laufzeiten führt das natürlich zu erheblich höheren Ansprüchen aus der bAV.

Redaktion: Ok, wenn ich das höre, macht das alles Sinn. Aber warum dann der Weg über die Direktversicherung?

Kevin Döllinger: Man muss das so sehen. Für viele Arbeitgeber ist die bAV ein lästiges Muss, da der Gesetzgeber ja vorschreibt, dass man als Arbeitnehmer ein Recht darauf hat. Von daher wird hier oft der einfachste Weg gewählt und der ist nun mal die Direktversicherung. Aber selbst, wenn ein Arbeitgeber eigene Versorgungswerke erstellen möchten, muss er ja erst einmal einen Versicherungsmakler finden, der sich mit der Thematik auch wirklich auskennt. Versicherungsvertreter dürfen nur die Produkte aus ihrem Haus anbieten und viele Versicherungsmakler scheuen den nicht unerheblichen Aufwand und das Wissen, dass man sich dazu aneignen muss. Denn es gibt einige Aspekte, die man in Bezug auf Steuer-, Arbeits- und Sozialversicherungsrecht beachten muss. Ich selbst habe über ein Jahr gebraucht, um mir das nötige Wissen anzueignen und mir eine passende Anwaltskanzlei und einen passenden Steuerberater zu suchen, die mich bei der Thematik unterstützen.

Redaktion: Das bedeutet dann im Umkehrschluss wahrscheinlich aber auch recht hohe Kosten für die Arbeitgeber, oder?

Kevin Döllinger: Im Vergleich zu den Direktversicherungen sind die Kosten in Summe nicht wesentlich höher, aber der Aufwand ist natürlich größer. Hat man Experten an seiner Seite, hält sich aber auch das in Grenzen. Viel entscheidender ist aber doch, dass man mit einem eigenen Versorgungswerk echte Mehrwerte schaffen kann, die, clever eingesetzt, zum echten Gamechanger beim Thema Personal werden können.

Redaktion: Mehr Zusatzrente gleich glückliche Arbeitnehmer.

Kevin Döllinger: Richtig, denn halten wir mal fest, so ziemlich allen Menschen in Deutschland ist mittlerweile klar, dass sie mit der gesetzlichen Rente im Alter nicht auskommen werden. Wenn ich meinen Mitarbeitern hier eine Lösung anbiete, die wirklich eine attraktive Zusatzrente im Alter bietet, dann signalisiert das den Mitarbeitern „Hey, ihr seid uns wichtig, deshalb möchten wir, dass es euch auch im Alter gut geht“. Das ist ja auch eine Form der Wertschätzung und das Thema Mitarbeiterzufriedenheit wird immer wichtiger. Frisches Obst im Büro ist nett, heute aber üblich. Gutscheine können für den ein oder anderen passen, reißen aber auch niemanden vom Hocker. Aber Verantwortung für seine Mitarbeiter zu übernehmen und sich dafür einzusetzen, dass es Ihnen auch im Alter gut geht, ist ein starker Hebel, wenn es darum geht, gute Mitarbeiter zu halten und neue zu gewinnen.

Redaktion: Das stimmt natürlich. Gibt es denn noch weitere Möglichkeiten, ähnlich der bAV?

Kevin Döllinger: Sagen wir es so. Es gibt weitere Möglichkeiten echte Mehrwerte für Mitarbeiter zu schaffen. Zum Beispiel die betriebliche Kranken- und die betriebliche Pflegeversicherung. Auch da gibt es erfreulicherweise einen positiven Trend. Das sind aber alles Ergänzungen, die man zusätzlich machen kann. An die Vorteile einer bAV über ein eigenes Versorgungswerk kommt aber definitiv nichts davon heran.

Redaktion: Ok, letzter Punkt. Viele Arbeitgeber haben ja bereits ihre bAV über eine Direktversicherung abgeschlossen. Lohnt der Wechsel, bzw. kann man die Ansprüche aus der Direktversicherung übertragen?

Kevin Döllinger: Die Ansprüche aus einer Direktversicherung kann man leider nicht übertragen, aber man kann sie ruhen lassen, sobald die eigenen Versorgungswerke erstellt sind und man die Sparbeträge dann effizient einsetzt. Die Ansprüche aus der Direktversicherung verfallen dadurch nicht, die Verträge werden halt nur nicht weiter bespart, wodurch der Endbetrag halt nicht größer wird. Da sich die bAV über die Direktversicherung aber sowieso nicht lohnt, schmerzt das nicht wirklich, zumal man ab dann ja eine viel attraktivere Zusatzrente generiert. 

Redaktion: Aber für den Arbeitgeber ist das dann doch schon eine nicht so tolle Option – er muss ja eingestehen, dass er in der Vergangenheit falsch investiert hat.

Kevin Döllinger: Naja, falsch investiert ist nicht der richtige Begriff. Er hat das gemacht, was ihm empfohlen wurde. Aber mal ganz ehrlich, irgendwann kommen seine Mitarbeiter von ganz alleine auf den Trichter, dass sich die bAV über eine Direktversicherung nicht lohnt. Und was ist besser? In ein paar Jahren zu sagen „Sorry, tut mir leid, aber ich hab´s nicht besser gewusst“, obwohl immer mehr Verbraucherschützer darauf aufmerksam machen oder jetzt zu agieren und zu seinen Mitarbeitern zu sagen: „Hey, die aktuelle Lösung ist nicht optimal, aber wir haben uns gekümmert und eine viel bessere Möglichkeit gefunden, die bAV für euch zu nutzen“?

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