Klimaneutral fliegen: Realität oder Wunschdenken?

Die Idee, klimaneutral fliegen zu können, klingt für viele nach einem Widerspruch in sich. Denn das Flugzeug gilt als Klimakiller – effizienter als andere Verkehrsmittel, aber energieintensiv wie kaum ein zweites. Doch technische Innovationen, alternative Treibstoffe und CO₂-Kompensation sollen den Luftverkehr grüner machen. Was steckt dahinter?
Warum klimaneutral fliegen so schwer ist
Fliegen verursacht CO₂ – vor allem durch die Verbrennung von Kerosin. Je nach Strecke, Flugzeugtyp und Auslastung entsteht ein durchschnittlicher Ausstoß von rund 90 bis 100 Gramm CO₂ pro Passagier und Kilometer. Auf Kurzstrecken ist die Bilanz besonders schlecht, da Start und Landung viel Treibstoff kosten.
Der globale Luftverkehr trägt laut Schätzungen zu etwa 2,5 Prozent der menschengemachten CO₂-Emissionen bei. Das mag gering erscheinen, doch der Trend zeigt nach oben: Immer mehr Menschen fliegen – und das in immer kürzerer Taktung. Klimaneutral fliegen wird so zur Herausforderung mit vielen Variablen.
CO₂-Kompensation – ein fragiles Gleichgewicht
Um den eigenen CO₂-Fußabdruck auszugleichen, bieten Fluggesellschaften Kompensationsmodelle an. Ein Beispiel ist das Agroforst-Projekt von MyClimate. Hier sollen durch die Pflanzung von Bäumen Emissionen gebunden werden. Ein Baum kann im Laufe seines Lebens bis zu 2,5 Tonnen CO₂ speichern – allerdings nur unter idealen Bedingungen.
Das Prinzip klingt einfach: Emissionen in der Luft verursachen, am Boden kompensieren. Doch ob diese Rechnung aufgeht, ist umstritten. Die CO₂-Bindung durch Aufforstung ist langfristig, abhängig von Pflege, Wetter und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Stirbt ein Baum früh oder wird er verbrannt, entweicht das gespeicherte CO₂ erneut in die Atmosphäre.
Grüne Tickets: Mehr Klimaschutz für mehr Geld?
Ein zentraler Hebel für klimaneutral fliegen sind sogenannte grüne Tickets. Fluggesellschaften wie Condor oder Lufthansa bieten diese gegen Aufpreis an. Bei Condor kostet ein grünes Ticket bis zu 35 Prozent mehr – das Geld fließt in Kompensationsprojekte wie Agroforst.
Doch bislang ist die Nachfrage gering: Nur etwa vier Prozent der Lufthansa-Passagiere entscheiden sich für das grüne Ticket. Bei Condor liegen keine belastbaren Zahlen vor. Während Geschäftskunden häufiger kompensieren, bleibt das Angebot für private Urlauber oft eine optionale Zugabe – kein Standard.
Die Komplexität der Kontrolle
Wie glaubwürdig sind Kompensationsprojekte? Die Kontrolle gestaltet sich schwierig. Zwar gibt es Zertifizierungen und Projektbesuche, doch das System ist anfällig für Missbrauch. Doppelabrechnungen, mangelnde Transparenz und wirtschaftliche Unwägbarkeiten belasten das Vertrauen.
Zudem entstehen auch durch die Verwaltung der Projekte Emissionen, etwa durch Reisen zu Projektstandorten und Büroorganisation. Laut MyClimate fließen 80 Prozent der Einnahmen direkt ins Projekt – 20 Prozent entfallen auf Verwaltung und Betrieb. Kritiker fordern jedoch unabhängige Prüfstellen und mehr Offenlegung der Mittelverwendung.
Technische Fortschritte und alternative Kraftstoffe
Neben Kompensation setzen Airlines auch auf technische Lösungen: Moderne Triebwerke, aerodynamische Verbesserungen und neue Flugrouten sollen den Verbrauch senken. Die Treibstoffeffizienz heutiger Maschinen ist rund doppelt so hoch wie vor 40 Jahren.
Ein Hoffnungsträger ist „Sustainable Aviation Fuel“ (SAF), ein synthetischer oder biobasierter Treibstoff, der theoretisch klimaneutral ist. Doch noch ist SAF teuer und kaum verfügbar. Der großflächige Einsatz steckt in den Kinderschuhen – ein flächendeckender Umstieg ist in weiter Ferne.
Klimaneutral fliegen bleibt ein ambitioniertes Ziel
Wer heute klimaneutral fliegen will, zahlt drauf – finanziell und mit einer gewissen Unsicherheit. Technische Fortschritte, alternative Kraftstoffe und Kompensationsmodelle sind wichtige Bausteine. Doch der Weg zu echtem, klimaneutralem Fliegen ist lang und komplex.
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